Zur Sakramentenlehre Luthers

Von Richard Niedermeier

In seinem Werk „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium“ – „Über die babylonische Gefangenschaft der Kirche“,[3] das sich an die Gelehrten richtet, nimmt sich der Reformator Martin Luther die Sakramentenlehre vor, in der Glaube, Frömmigkeit, aber auch kirchliches Verfassungsrecht zusammenlaufen. Wenn er dabei die Siebenzahl der Sakramente aufgibt – es bleiben nur noch Taufe und Abendmahl –, so lehnt er damit ein Sakramentenverständnis ab, das sich bereits seit dem 12. Jahrhundert entwickelt hatte.

Luther und die Beichte

Luther selbst hat die Beichte zwar noch persönlich praktiziert, von der Beibehaltung eines eigenen Bußsakramentes kann man aber nicht mehr sprechen, da die Sündenvergebung als Nichtanrechnung der Schuld im Sinne Luthers mit dem Glauben selbst schon gegeben ist. Der Bußakt wird vor diesem Hintergrund zum bloßen Glaubensbekenntnis, der natürlich keiner priesterlichen Vermittlung mehr bedarf.

Dass das Weihesakrament verloren ging, braucht nicht mehr eigens thematisiert zu werden, wenn er jeden als Papst und Bischof aus der Taufe herausgekrochen ansah.

Die Ehe – eine Allegorie für das Verhältnis Christi zu seiner Kirche

Doch auch die Ehe ist für Luther ein „weltlich Ding“ und kein Sakrament, stelle die Ehe, wie sie auch Paulus mit der Kirche in Zusammenhang bringe, doch nur eine Allegorie für das Verhältnis Christi zu seiner Kirche dar.[4] Wenn Luther ihr den sakramentalen Charakter abspricht, so deshalb, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, der Mensch wäre in irgendeiner Weise an der Gnadenvermittlung beteiligt. Für Luther ist klar, dass es auch außerhalb der Kirche (bei Heiden und im AT) gültige Ehen gebe, dass eine Einsetzung durch Christus fehle, sodass die Ehe zwar eine göttliche Einrichtung sei, dabei aber der natürlichen Ordnung angehöre.[5]

Das hindert Luther freilich nicht, die Ehe hoch zu schätzen. Dies zeigt sich vor allem dort, wo er in anderen Schriften gegen den Islam Stellung nimmt, der die Ehe verachte, indem er jedem gestatte, sich „weiber zu nemen wie viel er will“.[6] Wie bedeutsam die Ehe – allerdings nur für das leibliche Leben des Christen – ist, zeigt sich auch an Luthers Wertschätzung der Unauflöslichkeit: So zieht er einer Ehescheidung sogar die Bigamie vor.[7] Diese gerade mit Blick auf Luthers Verwerfung der islamischen Polygamie völlig inkonsequente Haltung wird sich 1539 in dem Rat Luthers an den Landgrafen Philipp I. von Hessen konkretisieren, statt außerehelichen Verhältnissen sich lieber eine Zweitfrau zu nehmen und damit zum Bigamisten zu werden[8] – dies freilich soll nur als außerordentlicher Notfall verstanden werden!

Eucharistie – „drei Gefangenschaften der Kirche“

Luthers Verirrungen erstreckten sich aber auch auf das weiterhin noch anerkannte Sakrament der Eucharistie. Noch 1518/19 hatte er die kirchliche Eucharistielehre uneingeschränkt bejaht; nun fordert er mit aller Heftigkeit und im Anschluss an Hus den Laienkelch. Viel entscheidender aber ist, dass er die Lehre von der Transsubstantiation, die ihm eine Ausgeburt des verhassten aristotelischen Denkens ist, aufgibt zugunsten der Theorie von der Impanation (= Brotwerdung) bzw. der Konsubstantiation, die das Fortbestehen von Brot und Wein „neben“ und „zugleich“ mit der Gegebenheit des Herrenleibes und -blutes meint. Und schließlich lehnt er die Lehre von der Messe als einem Opfer ab.[9]

Diese drei Punkte, die Eucharistie nur unter einer Gestalt, die Transsubstantiation und das Messopfer, markieren für ihn bereits in seiner Frühzeit die „drei Gefangenschaften der Kirche“.

Die Thematik des Laienkelches

Die Thematik des Laienkelches war natürlich von der antipäpstlichen Haltung des J. Hus auf das Äußerste vorbelastet, obwohl selbst das Konzil von Konstanz[10] in seinem Dekret über die „Kommunion allein unter der Brotgestalt“ nur von einer Gewohnheit („consuetudo“) sprach und auch eine andere frühchristliche Praxis anerkannte, die man allerdings zur Vermeidung von „Gefahren“ und „Skandalen“ aufgegeben habe.[11] Luther war aber zweifellos darüber informiert, dass auch nach dem Konstanzer Konzil der Leib und das Blut Christi in unversehrter Weise („integrum Christi corpus et sanguinem“) sowohl unter der Gestalt des Brotes als auch des Weines wahrhaftig gegenwärtig ist. Luther hatte also keinen Grund, hier von einer Gefangenschaft der Kirche zu sprechen. So ist es nicht weit hergeholt, wenn man Luther unterstellt, er habe dieses eigentlich „erledigte“ Thema nur dazu benutzt, um seine Gegnerschaft zum Papsttum zu unterstreichen, aber auch um Schrift und Tradition, Theologie und einfaches Vernehmen des Schriftwortes in einen ganz praxisrelevanten Gegensatz zu bringen. Luther ging also auf Konfrontationskurs und nutzte dazu jede Gelegenheit, selbst wenn es ihm den Vorwurf einbrachte, die Eucharistielehre nicht richtig verstanden zu haben.[12]

Die Ablehnung des Opfercharakters der Messe

Auch die Ablehnung des Opfercharakters der Messe hat über den „sola fide“-Aspekt hinaus noch eine andere Intention: die Vernichtung des Weihepriestertums. Schon Thomas von Aquin hatte das Priestertum in seiner einmaligen Stellung damit begründet, dass dem Priester die „consecratio“ und „perfectio“ dieses Sakramentes obliege.[13]

Die Messe als Opfer musste fallen, damit die Idee des allgemeinen Priestertums das sakrale Priestertum verdrängen konnte. In den 1537 veröffentlichten Schmalkaldischen Artikeln dient seine Ablehnung des Messopfers zum einen dazu, eine deutliche Grenze zur Kirche zu ziehen; andererseits sieht Luther aber auch, dass auch das Papsttum mit dem Opfercharakter fallen muss: „Also sind und bleiben wir [Reformierte und Katholiken] ewiglich geschieden und widereinander. Sie [die Katholiken] fühlen wohl, wo die Messe fällt, stürzt das Papsttum.“[14]

Luther begründete seine Ablehnung des Opfercharakters mit der Heiligen Schrift, die nirgends die Messe als ein Opfer behaupte.[15] Wenn Luther das Abendmahl dennoch mitunter als Lob- und Dankopfer für die Erlösung Christi auffasst, so ist dies nur in einem geistlichen Sinne zu verstehen, nicht jedoch als ein Sühnopfer.[16] Sicherlich haben wir zu berücksichtigen, dass Luthers Ablehnung der Messe als Sühnopfer auch mit der vor allem in Volkskreisen populären Vorstellung zu tun hat, dass das Messopfer ein „neues Opfer“ darstelle, das keinen – oder theologisch nur einen damals völlig ungeklärten – Bezug zum Kreuzesopfer Christi habe.[17]

Christologischer Hintergrund

So sehr solche Missstände in die Reaktion Luthers hineinspielen, so ist diese doch von noch grundlegenderen Motiven getragen: Luthers Vorstellung von der Erlösung durch Christus lässt auch ein im Selbstopfer Christi gegebenes Mitwirken seiner Menschheit nicht zu. Die Menschheit Christi – und das ist der Sinn des Bildes vom geköderten Leviathan – wird nur passiv hingegeben, vollzieht aber selbst nicht in der Personeinheit mit dem göttlichen Logos ihre Hingabe. Der Köder ist nur ein willenloses Instrument, sodass alle Aktivität auf der Seite Gottes liegt. Luther sieht zwar in seiner „theologia crucis“ die äußerste Katabasis („Herabsteigen“) Gottes verwirklicht, verkennt aber, dass diese Katabasis einer dadurch erst ermöglichten Anabasis („Hinaufsteigen“) des Menschen zu Gott entspricht. Eine solche Anabasis ist unvereinbar mit der von Luther konzipierten Rechtfertigungslehre und ihrer bloß forensischen Lossprechung. Luthers „Paradox-Christologie“ (P. Althaus)[18] kann weder eine Theiosis („Vergöttlichung“) der Menschheit Christi noch des durch Christus erlösten Menschen denken. Noch weniger lässt sich für ihn denken, dass die Materie als solche im eucharistischen Geschehen in eine neue Wirklichkeit verwandelt wird. Damit ist auch seine Stellungnahme zur Transsubstantiation schon vorgezeichnet.

Haltung zur Transsubstantiationslehre

In der Frage der Transsubstantiation zielte Luther natürlich ebenfalls auf das Weihepriestertum ab, dem die Wesensverwandlung in den Leib des Herrn vorbehalten war. Er konnte darüber hinaus natürlich auch seinem Hass auf Aristoteles Raum verschaffen, der für die Denker des Hochmittelalters das begriffliche Instrumentarium und die metaphysischen Grundlagen für die Transsubstantiationslehre geliefert hatte. Und schließlich schien Luther in dieser Lehre auch einen Beweis dafür gefunden zu haben, dass die Kirche sich vom Wort der Heiligen Schrift entfernt habe.

In der Frage der Realpräsenz verhält sich Luther weitgehend konservativ,[19] wenngleich er noch 1520 an der Eucharistie eher die Zusage Gottes betont hatte. Luther fand in seinen späteren Jahren das Schriftzeugnis als zu eindeutig, um die Realpräsenz aufgeben zu können.[20] Noch in seiner 1524 verfassten Schrift „Brief an die Christen zu Straßburg wider den Schwärmergeist“ gestand Luther ein, dass er erst nach hartem Ringen an der Lehre von der Realpräsenz festgehalten habe und dass er liebend gern einen Beweis gegen sie akzeptiert hätte, schon allein, um gegen das Papsttum schlagen zu können.[21]

Allerdings steht sie bei Luther wie ein erratischer Block innerhalb seiner Lehre; sie ist – und mag er sie auch noch so gegen Karlstadt und Zwingli verteidigen – ohne jede tragende Funktion.

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Dieser Artikel erschein erstmals in der Zeitschrift „Kirche heute“ im Dezember 2016 und ist ein Auszug aus dem Buch von Richard Niedermeier: „Martin Luther. Eine Reise zum Ursprung der Reformation“. Siehe auch Literaturliste.