Von Luther zu Hegel

Der Geist im Widerspruch

Von Luther zu Hegel

– Christus hat in der Hingabe seines Leibes am Kreuz den Grundstein für das neue Jerusalem gelegt. Was der Mythos erhofft – die Befreiung von der Übermacht des Bösen –, ist geschenkt worden.

– Erlösung ist das Gnadengeschenk an unsere persönliche Freiheit wie an die Geschichte insgesamt.

– Die dialektische Philosophie Hegels und die Evolutionstheorien unserer Tage haben die Erlösung vom Tode vertauscht mit dem Tode als erlösendem Geschehen. Der Tod wird damit zum ersten Mal in der Geschichte als ein schöpferisches, Leben entwickeltes Prinzip verstanden.

– Der Tod Christi wird nicht mehr als ein Gnadengeschenk des transzendenten Schöpfer Gottes betrachtet, sondern – umgekehrt – zu einem innerweltlichen Prinzip erhoben.

– Hegel beruft sich in seiner Philosophie ganz auf Luther. Die Theologie Martin Luthers hat die idealistische Philosophie in Deutschland geprägt.

Nach Luthers Theologie gibt es keinen freien Willen des Menschen. Gott ist allmächtig und seiner Allmacht scheint folgerichtig auf Alleinherrschaft zu bestehen und zur Durchsetzung ihrer Entschlüsse alle anderen Geschöpfe als gehorsame Knechte in Dienst nehmen zu müssen.

Allerdings begründet sich Gottes Allmacht darin, seinen vollendeten Selbstbesitz dem anderen zu schenken. Wenn Gottes Wesen entäußernde Liebe ist, dann eröffnet er damit dem anderen die Freiheit seiner selbst und nicht sklavische Notwendigkeit.

Luther konnte allerdings nicht in Christus das offenbar werden der Dreifaltigkeit Liebe Gottes erkennen, sonst hätte er Raum für das Miteinander zweier Freiheiten, der Freiheit Gottes und des Menschen.

Das Konzil von Konstantinopel stellt fest, dass die hypostatisch Union göttlicher Natur mit der menschlichen gerade nicht die Unterordnung des menschlichen Willens erfordert, sondern durch das Miteinander zweier Willensakte in einem Fleisch bestimmt ist.

Luther aber wünscht die sich selbst entäußernde Gottes Liebe in blinde Willkür um. Also gerät er folgerichtig in mythische Verstrickung, die besagt dass der Stärkere sich behaupten muss durch Unterwerfung des Schwächeren.

Aber uns ist der Gott geoffenbart, der nicht über seine Gottheit wie einen Raub machen musste, vielmehr unser aller Bruder wurde.

Es stellt sich aber die Frage, – wenn nach Luther Gott aufgrund seiner allmächtigen Autorität die Freiheit des Menschen nicht dulden kann –, wie sittliches Handeln des Menschen überhaupt möglich ist?

Luther versteht Gott als den „Antreiber“ des menschlichen Willens, der jede Mitwirkung des Menschen ausschließt und „den freien Willen niederstreckt“.

„Weil ja Gott alles in allem schafft und wirkt, schafft er notwendigerweise auch im Satan und im Gottlosen“, so Luther.

Damit wird die ganze Aporie seiner Gottes Vorstellung, die nur den geknechteten Willen des Geschaffenen zulässt, deutlich.

Von der Alleinwirksamkeit Gottes, die den „geknechteten Willen“ als Instrument seiner grundlosen Herrschaft braucht, zum Menschen als „Prädikat“ des sich selbst wissenden Gottes bei Hegel führt ein gerader Weg.

Das Miteinander zweier Freiheiten – Gottes und des Menschen – ist beide Male aufgehoben in das absolute Subjekt, dessen Selbstbestimmung zur Notwendigkeit des Prädikats wird.

Hegel im Rückblick auf Luther

Der Gott der Entzweiung – oder – Gott kann nicht Gott sein, er muss zuvor ein Teufel werden. (Luther)

„Ich bin ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Luthertum befestigt.“ (Hegel)

„Was unser Luther unternommen hat, war eine große Umwälzung.“ (Hegel)

„Das lutherische Element war stark in Hegels Denken, es war in einem bestimmten Sinne das Fundament.“ (1)

 

Gelingt Hegel die spekulative Rechtfertigung der lutherschen Theologie?

Die folgenden Texte sind Auszüge aus: Alma von Stockhausen: „Der Geist im Widerspruch – Von Luther zu Hegel“

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Fassen wir zusammen: Luther hat den Ursprung des Bösen auf Gott übertragen und den geknechteten Willen des Menschen von jeder Schuld freigesprochen. Hegel versucht dieser „Verzweiflung“, in Gott selbst den Urgrund des Bösen sehen zu sollen, dadurch zu entkommen, daß er diesen unfaßlichen Widerspruch in Gott als Ausdruck der notwendigen Selbstentgegensetzung jenes absoluten Geistes begreift, zu dessen Wesen die Selbstreflexion im Sinne der Selbstobjektivation gehört. Das Böse in Gott, klassisch-metaphysisch als kontradiktorischer Widerspruch absolut von Gott ausgeschlossen, wird von Hegel vertauscht mit einer Negation, die als Weise der Selbstreflexion des Geistes konstitutiv zum Sein gehört. Aus dem vollendeten Selbstbesitz der göttlichen Personen, der jeden Mangel ausschließt, wird bei Hegel der Entwicklungsprozeß des absoluten Geistes, der durch den Trieb – als Spannkraft der Bedürfnisbefriedigung – bewegt und erzeugt wird.

Kann Hegel durch seine spekulative Logik, die auf Grund der lutherschen Theologie vorausgesetzten Widersprüche in Gott so aufheben, dass die Liebe als Weise wie „Gott in sich selbst ist“, deutlich wird. Das Grundproblem der lutherschen Theologie: die Freiheit der Geschöpfe neben dem allmächtigen Gott – kann nur in dem Maße geklärt werden, als es gelingt, den „kalten Allwillen der Alleinwirksamkeit Gottes“ durch die „herzbewegte Liebe“ des sich offenbarenden dreipersonalen Gottes zu überwinden. Hegel beteuert, daß der spekulative Begriff das „Liebesspiel“ der göttlichen Personen demonstriert. Die Negation, positiv gefaßt, erklärt die Perichorese!

Wir brauchen nur Hegel selbst beim Wort zu nehmen, um zu sehen, wie weit die „Negation der Negation“ den wissenschaftlichen Fortgang trägt. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die wesentlichen Schritte der „Logik des Werdens“. Ist sie wirklich nicht „widervernünftig“?

Die Dynamik des Werdens liegt nicht in der Vollendung des Seins. Werden ist nicht Ausdruck der Schenkung der Fülle, sondern für Hegel Notdurft des Mangels. Woher allerdings der Mangel seine Kraft bezieht, sich von selbst zu befriedigen – wo der Übergang vom Nichtsein bzw. Noch-nicht zum immer entwickelteren Sein seinen tragenden Grund hat, bleibt das Geheimnis einer Dialektik, die „die Gleichrangigkeit von Sein und Nichts behauptet“. Hegel hat „vergessen“, daß der Übergang vom Nichts zum Sein theologisch vermittelt ist, d. h. die Schöpfermacht jenes Gottes voraussetzt, der das andere seiner selbst bzw. der Schöpfung nicht als Entwicklungsmoment seiner Selbstkonstitution setzt, sich als seinen Sohn auszeugt, Hegel gebraucht wörtlich dieselbe Formulierung wie Luther, vielmehr über seinen vollendeten Selbstbesitz so verfügt, daß er ihn als Natur des anderen verschenkt. Der Vater nimmt zu sich als erkanntem willentlich in der Weise Stellung, daß er seinen vollendeten Selbstbesitz zum Grund des dicere und spirare, des Aussprechens des Sohnes und der Hauchung des Heiligen Geisteswerden läßt.

Gottes Liebe, die durch Offenbarung als Selbstmitteilung kund geworden ist, wird von Hegel in das Gegenteil pervertiert: aus Liebe, die als Hingabe an den anderen, als Selbstmitteilung an den anderen, als Ermöglichung des anderen in seiner eigenständigen Andersheit verstanden wurde, wird bei Hegel „das Spiel der Liebe mit sich selbst“, die die Natur des anderen nur einen Augenblick als Weise der Selbstreflexion sich entgegensetzt, um sie dann selbstbefriedigt in sich aufzuheben!

Liebe wird nicht mehr als Selbstmitteilung des eigenen Wesens an den anderen, vielmehr umgekehrt – als Selbstvermittlung durch den anderen verstanden. Persona et essentia sunt idem, hatte schon Luther der traditionellen Trinitätslehre entgegengehalten. Wenn die Person nicht der eigenständige Träger des von ihr formal unterschiedenen Wesens ist, kann die Mitteilbarkeit der göttlichen Natur an die unterschiedlichen Personen nicht mehr gedacht werden. Damit fehlt dann das Unterpfand des Einsseins der Liebe, was zu der Aporie des von Hegel zitierten Widersinns: „drei Eins als nur Eins“ zu fassen, führt.

Dialektisch läßt sich das Liebesgeheimnis der geoffenbarten Trinität nicht lösen. Durch Auflösung der Personen in Funktionen der Selbstkonstitution des Seins der Identität der Nichtidentität kann ich zwar die Einheit und Allgemeinheit des Geistes demonstrieren, muß aber gleichzeitig die Liebe in ihr vollständiges Gegenteil pervertieren. Zur Liebe gehört die von Hegel bestrittene „Ernsthaftigkeit des Andersseins“. Die Liebe freut sich an der „besonderen Persönlichkeit“ und denunziert sie gerade nicht als „spröde Abgesondertheit“ und erwartet schon gar nicht die Auflösung der Persönlichkeit bzw. die „Nichtigkeit des Unterschieds“. Die Persönlichkeit wird nicht erst durch ihr „Versenktsein in das andere“ sie selbst – sondern schenkt dem anderen den persönlichen Besitz der eigenen Natur. Der spekulative Begriff erfaßt nicht das personale Liebesgeheimnis, sondern zerstört es: aus Mitteilung der frei verfügbaren Natur an den anderen als anderen wird die Unterwerfung des anderen zum Zwecke des Selbstaufbaues der eigenen Natur.

Von Hegel zu Darwin:

Mit Hegel brauchen wir den Tod nicht länger zu fürchten – automatisch, d. h. mit gesetzhafter Notwendigkeit erfolgt auf diese Weise der Selbstentgegensetzung Gottes die Selbstvermittlung der Vereinigung – „aus der Trennung zur Vereinigung“.

Das Naturgesetz Darwins, das aus „Hunger und Tod“, das Leben höher zu entwickeln vorgibt, ist nur ein konsequenter Nachfahre. „Ohne Hegel kein Darwin“, im kühnen Durchgriff durch alle logischen Gewohnheiten entwickelt Hegel die Arten auseinander. „Er hat damit den entscheidenden Begriff Entwicklung in die Wissenschaft gebracht“, bemerkt Nietzsehe zu Recht. Mit dem „Zauberwort“ Entwicklung (Ernst Haeckel) werden alle bis dahin theologisch zu vermittelnden Gegensätze, Sein und Nichtsein, Leben und Tod, Einheit Vielheit, Selbigkeit und Verschiedenheit, Gut und Böse, Freiheit und Notwendigkeit auf den dialektischen Begriff der Widerspruchseinheit ge- bracht, mit dem Anspruch, daß der spekulative Begriff die Synthesis der Gegensätze kraft seiner selbst, d. h. kraft seiner göttlichen Entwicklungsdynamik vollzieht.

Wie die Spannkraft des Mangels – das Noch-nicht des Unbewußten, das zum Sebstbewußtsein drängt – den Übergang vom Nichtsein zum Sein bewerkstelligen soll, bleibt das Geheimnis der theologisch vermittelten hegelschen Dialektik. Gottes Allmacht kann man zu Recht alles zuschreiben.

Aber der wundeste Punkt Luthers oder Hegels bleibt wohl dieser, selbst diese Allmacht zerstört zu haben. Denn sowohl Luther, der Gott böse nennt, als auch Hegel, der bemüht ist, „den Zorn Gottes in mangelndes Selbstbewußtsein, das entwickelt werden muß, aufzuheben“, stehlen Gott den wirklichen Selbstbesitz der Liebe, die allein fähig ist, sich selbst so zu entäußern, daß sie die Schuld bzw. den Tod des anderen auf sich nimmt. Die freie Entäußerung der persönlichen Liebe in die notwendige Entäußerung der selbstversichernden Selbstentgegensetzung der Subjektwerdung des Geistes zu pervertieren, ist die Infamie der ontologisierten Bosheit, die Liebe als Libido verrät.

(1) Heinrich Borkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Göttingen, 1955, S. 29