Die Heilige Messe und das Priestertum

Messe ohne Opfercharakter

Martin Luther hatte die Heilige Messe nicht abgeschafft, aber theologisch ganz anders interpretiert. In der neuen Deutung der Eucharistie erlebte die Glaubensspaltung ihren Kulminationspunkt. Denn für Luther brauchte es zur Feier der Heiligen Messe keinen geweihten Priester mehr und deren Opfercharakter lehnte er ab. Seine Haltung war dabei eine logische Konsequenz seiner neuen Gnaden- und Rechtfertigungslehre. Die Forderung nach einem „gemeinsamen Abendmahl“ wird oft unabhängig von diesem theologischen Hintergrund erhoben, kommt aber letztlich an einer Klärung der Frage nach dem kirchlichen Amt nicht vorbei.

Von Andreas Theurer

Seit vielen Jahren ist einer der wichtigsten Streitpunkte zwischen Katholiken und Protestanten die Frage nach dem „gemeinsamen Abendmahl“. Nicht nur in konfessionsverschiedenen Ehen wird dessen Unzulässigkeit als großes Leid empfunden. Weite Teile der inner- und außerkirchlichen Öffentlichkeit können oder wollen die Unterschiede in Lehre und Praxis nicht mehr nachvollziehen und sind teilweise sogar bereit, sich über das Verbot einfach hinwegzusetzen. Oft hängt diese Haltung freilich auch mit einer tiefen Unkenntnis der Lehren zusammen, die den jeweiligen konfessionellen Positionen zugrunde liegen. Die wichtigsten davon sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Was glauben Protestanten vom „Heiligen Abendmahl“?

Hier muss – was vielen inzwischen nicht mehr bewusst ist – grundsätzlich unterschieden werden zwischen Lutheranern und Reformierten.

Die Haltung der Reformierten

Die Reformierten, also die Nachfolger der Reformatoren Zwingli und Calvin, glauben, dass das Abendmahl ein Gedächtnismahl ist, bei dem Christus nicht anders anwesend sei, als überall sonst im Leben der Christen. Die Aussage Jesu „Das ist mein Leib“ bzw. „Das ist mein Blut“ sei nur symbolisch zu verstehen. Der Gläubige gedenke darin des Leidens und Sterbens seines Herrn, bekunde seine Bereitschaft zur Nachfolge und empfange dadurch Segen, während der Ungläubige durch die Kommunion gar nichts (außer einer Oblate und einem Schluck Wein) bekomme.

Die Haltung der Lutheraner

Lutheraner wiederum glauben, dass Christus während der Kommunion in Brot und Wein leibhaftig gegenwärtig ist (Realpräsenz). Der Gläubige empfange also wirklich Leib und Blut Christi. Das gelte auch für den Ungläubigen, ihm gereiche es freilich nicht zum Heil, sondern zum Gericht (1 Kor 11,29).

Allerdings lehnen Lutheraner den katholischen Begriff der Transsubstantiation, also der Wesensverwandlung, ab und sprechen lieber von Konsubstantiation. Ihrer Lehre nach verwandele sich Brot und Wein nicht in Leib und Blut Christi, vielmehr trete die leibliche Gegenwart Christi auf geheimnisvolle Weise zur natürlichen Gestalt der Elemente hinzu, sodass „in, mit und unter der Gestalt von Brot und Wein“ Christus gegenwärtig sei. Diese Gegenwart dauere jedoch nur so lange wie die Kommunion. Die übrig gebliebenen Reste seien dann wieder gewöhnliches Brot und gewöhnlicher Wein. Bei Luther persönlich findet man allerdings noch den Glauben an die bleibende Gegenwart Christi. Erst seine Nachfolger haben diesen Glauben aufgegeben!

Es wird aber auch während der Feier nicht streng unterschieden zwischen „gesegnet“ und „ungesegnet“. So ist es allgemein üblich, wenn der Wein im Kelch ausgeht, diesen aus der Kanne einfach wieder aufzufüllen oder bei Bedarf weitere Hostien aus dem Vorratsbehältnis zu nehmen. Die Aufbewahrung im Tabernakel und die Verehrung der konsekrierten Hostie erübrigen sich damit natürlich auch.

Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten

Es ist offensichtlich, dass diese beiden protestantischen Verständnisse vom Abendmahl miteinander nicht vereinbar sind und dass dabei die lutherische Position der katholischen viel näher ist, als der reformierten. Daher standen sich Reformierte und Lutheraner auch jahrhundertelang unversöhnlich gegenüber. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts kam es jedoch auf staatlichen Druck hin (zuerst in Preußen, dann in manchen anderen deutschen Gebieten) zu „Unionen“ zwischen den beiden protestantischen Bekenntnissen. Gegen diese Zwangsunionen gab es teilweise auch heftigen Widerstand (z.B. von dem berühmten lutherischen Liederdichter Paul Gerhardt), der im 19. Jahrhundert sogar zur Entstehung der lutherischen Freikirche (heute: Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, SELK) führte.

Erst 1973 (!) wurde in der „Leuenberger Konkordie“ die grundsätzliche Abendmahlsgemeinschaft zwischen (landeskirchlichen) Lutheranern und Reformierten beschlossen, nachdem sich beide Seiten einander angenähert hatten. Heute ist dadurch vielen Protestanten gar nicht mehr bewusst, zu welcher Tradition sie eigentlich gehören, und viele, die nominell Lutheraner sind, hängen tatsächlich eher der reformierten Abendmahlslehre an.

Jeder kann dem Abendmahl vorstehen

Worin sich jedoch alle Protestanten einig sind, ist die Frage, welche Vollmacht erforderlich ist, um eine Abendmahlsfeier halten zu können. Während die traditionellen Kirchen seit Anbeginn der Christenheit davon überzeugt sind, dass es dazu einen geweihten Amtsträger braucht, ist das nach protestantischer Auffassung nicht nötig. Jeder kann es, wenn es auch um der Ordnung willen nicht jeder soll. Entsprechend werden auch Priester- und Bischofsweihe grundsätzlich abgelehnt (siehe Kirche heute, Nr. 10/2016, S. 12f.).

Das ist auch der entscheidende Punkt, warum die Anerkennung des protestantischen Abendmahls – auch des lutherischen – für Katholiken, Orthodoxe und Altorientale einfach nicht möglich ist.

Das katholische Verständnis der heilige Messe als Opfer

Zweitrangig sind demgegenüber die unterschiedlichen Antworten auf die Fragen, ob es sich bei der Eucharistie um ein Opfer handelt, oder ob die Gemeinde auch die Kelchkommunion empfangen soll.

Jahrhundertelang gehörte es zum festen Bestandteil der protestantischen Polemik gegen die katholische Messe, dass dort das Opfer Jesu unblutig wiederholt werde, was unter Verweis auf Hebr 10,10 („ein- für allemal“) als schreckliche Gotteslästerung empfunden wurde. Deshalb hat Luther auch die „Deutsche Messe“ geschaffen, die der katholischen Messe entsprach bis auf alle Texte, die den Opfergedanken enthielten und deshalb von ihm gestrichen wurden. Die „Deutsche Messe“ ist heute noch die normale Gottesdienstform in lutherischen Gemeinden und wird auch von katholischen oder reformierten Besuchern oft als „ziemlich katholisch“ empfunden.

Tatsächlich spielte der Gedanke der Wiederholung des Kreuzesopfers in der katholischen Apologetik gegen den Protestantismus eine wichtige Rolle. Dabei wurde dann oft indirekt der protestantische Vorwurf bestätigt, indem von katholischer Seite die Wiederholung des Opfers auch noch verteidigt wurde.

Die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers

In Wirklichkeit wird das Opfer Jesu aber nicht wiederholt, sondern vergegenwärtigt. Die altkirchliche Theologie geht dabei vom Bild des antiken Theaters aus. Dort sollten die Stücke nicht nur vorgeführt, sondern gegenwärtig werden für das Publikum, das die Handlung miterlebte, als sei die Handlung jetzt und hier Realität. Genauso soll es auch in der heiligen Messe sein. Raum und Zeit übergreifend geschieht auf dem Altar das Opfer von Golgatha – aber nicht erneut zum zigmillionsten Male, sondern das Eine und Einzige Opfer Jesu wird Gegenwart und sowohl die Engel des Himmels wie auch die feiernde Gemeinde erleben es sozusagen „live“ mit.

Das kann man sinnvollerweise nicht mit „Wiederholung“ bezeichnen und so erübrigt sich dieser protestantische Kritikpunkt an der Messe ebenso wie die oberflächliche katholische Verteidigung der Opferwiederholung. Der Opfercharakter der Messe selbst darf dabei natürlich nicht wegfallen! Er gehört – im Sinne der Vergegenwärtigung – zum Fundament der altkirchlichen Eucharistie-Theologie.

Die Forderung nach der Kelchkommunion

Schon von vorreformatorischen Bewegungen wie den Hussiten wurde die allgemeine Kelchkommunion gefordert und die Reformatoren führten auch gleich zu Beginn und als Symbol der neuen Lehre und unter Verweis auf Joh 6,56 die Kommunion „unter beiderlei Gestalt“ ein.

Tatsächlich ist es aus katholischer Sicht nicht notwendig, die Kelchkommunion allein dem Priester vorzubehalten. Es sind rein praktische Gründe, die im Mittelalter zu dieser Regelung führten. Gestützt auf die Konkumitanz-Lehre (in beiden Gestalten ist der Herr jeweils ganz gegenwärtig, d.h. schon in der Hostie empfängt der Gläubige bereits Leib und Blut des Herrn – nicht weniger, als wenn er auch noch aus dem Kelch getrunken hätte), wird den Gläubigen seither in der Regel nur die Hostie gereicht.

Wie sinnvoll diese Regelung gerade heute ist, zeigt meines Erachtens besonders die moderne Entwicklung im Protestantismus, wo vielerorts der Wein in der Abendmahlsfeier aus Rücksicht auf Kinder und Alkoholkranke bereits durch Traubensaft ersetzt wurde. Nicht nur aus katholischer, sondern auch aus konservativ-lutherischer Sicht ist das unzulässig (und ungültig), da „Frucht des Weinstocks“ (Lk 22,18) – wie man inzwischen weiß – zur Zeit Jesu ausschließlich mit Wasser gemischten vergorenen Wein und keinesfalls Saft bedeutete. Auch könnte man sich in evangelischen Gemeinden das Elend des Umgangs mit dem übrigen Abendmahlswein, den man – weil im Voraus die Zahl der Abendmahlsgäste schwer zu kalkulieren ist – meistens wegschüttet, sowie die Gefahr des Verschüttens bei der Kommunion ersparen.

Fundamentale Unterschiede im Glauben an die Eucharistie

So bleibt als Fazit: Ein gemeinsames Abendmahl von Protestanten und Katholiken kann es wegen der unterschiedlichen Verständnisse auf absehbare Zeit nicht geben. Hinderlich sind dabei insbesondere auf reformierter Seite die Ablehnung der wirklichen Gegenwart Christi in den eucharistischen Gaben sowie auf lutherischer und reformierter Seite die Leugnung der Notwendigkeit des geweihten Amtes und die mangelnde Unterscheidung zwischen konsekrierten und nicht-konsekrierten Elementen – sowohl während als auch nach der Abendmahlsfeier.

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Dieser Artikel erschien erstmals in der Zeitschrift „Kirche heute“ im Dezember 2016.