Der hadernde Mönch

Luther ging nicht freiwillig ins Kloster. Er musste diesen Schritt tun, um sich der weltlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen.

„Gezwungenes und notgedrungenes Gelübde“

Der Klostereintritt Luthers geschah unfreiwillig. Er musste sich ins Kloster flüchten, da er einen Kommilitonen bei einem Duell erschlagen hatte und sich der weltlichen Gerichtsbarkeit entziehen musste. Das „Blitzerlebnis“ von Stotternheim ist eine Legende.

Hartnäckig hält sich die Legende, dass ein äußerer Anlass, nämlich ein Blitzeinschlag am 2. Juli 1505 bei dem Dorf Stotternheim, ca. 6 km von Erfurt, wohin Luther nach einem Zwischenbesuch bei seinen Eltern in Mansfeld zurückkehrte, ihn in Todesangst versetzte und ihn zu einem Gelübde veranlasste: „Hilff Du, S. Anna, ich will ein mönch werden.“ (Quelle: AWTr 4; 440,9f; Kaufmann 2014, S. 32).

Das „Blitzerlebnis“ ging als Legende in die Geschichte ein.

 

Die Forschungen von Dietrich Emme haben nachgewiesen, daß dies nicht der historischen Wahrheit entspricht. Es gilt so gut wie sicher, daß Luther sich aufgrund eines Duells mit Todesfolge der weltlichen Gerichtsbarkeit entziehen und in ein Kloster fliehen musste.

Zwei Duelle sind es gewesen, an denen Luther während seiner Studentenzeit beteiligt war: der erste Zweikampf fand zwischen Luther und Conrad Wigand am 16. April 1503 in der Nähe von Stotternheim statt. Bei diesem Duell wurde Luther lebensgefährlich verletzt. Das zweite Duell wurde  zwischen Luther und Hieronimus Buntz im Januar 1505 ausgetragen, und hierbei fand Buntz den Tod.

Selbst wenn man dem Indizienbeweis von Dietrich Emme nicht folgen will, sondern sich an die offizielle Biographie hält, die von der evangelisch-lutherischen Kirche verbreitet wird, Luther habe aufgrund eines Blitzschlagerlebnisses sich entschieden ins Kloster zu gehen, kommt man nicht zu dem Ergebnis, dass Luther eine Berufung zum Eintritt in ein geistliches Leben im Kloster hatte. Denn ein Blitz ist eine Naturkatastrophe. Sie führt bei Menschen zu einem Trauma, zu einer Verletzung. Eine Berufung durch Gott ins Kloster einzutreten, sieht ganz anders aus.

 

Eintritt Martin Luthers in das Augustiner-Eremiten-Kloster in Erfurt am 17. Juli 1505

Der protestantische Theologe Nikolaus Selnecker (1530-1592) berichtet, Luther sei „heimlich und bei Nacht“ in das Erfurter Augustiner-Eremiten-Kloster eingetreten, und zwei Tage lang hätten Luthers Kommilitonen und Freunde, Studenten und andere Personen das Kloster aufmerksam beobachtet und gleichsam in der Absicht belagert, Luther wieder herauszubekommen, jedoch ohne Erfolg.

Nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Eltern, vor allem sein Vater waren gegen den Eintritt Luthers ins Kloster.

 

Martin Luthers Geständnis

In einer seiner Tischreden bekennt Martin Luther, daß er in das Kloster eingetreten ist, um seiner Gefangennahme zu entgehen:

 

„Singulari Dei consilio factus sim monachus ne me caperent. Alioqui essem facillime captus. Sic autem non poterant, quia es nham sich der gantz orden mein an.

 

Zu Deutsch: „Nach dem außerordentlichen Ratschluss Gottes bin ich zum Mönch gemacht worden, damit sie mich nicht gefangen nehmen. Sonst wäre ich sehr leicht gefangen worden. So aber konnten sie es nicht, weil es nham sich der gantz orden mein an.“

Quelle: WA, Ti 1, 134, 32-35

 

An einer anderen Stelle bekennt er, er sei nicht freiwillig Mönch geworden, sondern er habe, veranlasst durch Schrecken und Entsetzen vor einem plötzlichen Tod, ein „gezwungenes und notgedrungenes Gelübde“ abgelegt. (WA 8, 573,32; 8 574, 1)

Während seiner Schutzhaft auf der Wartburg schrieb Luther in einem Brief am 9. September 1521 an Melanchthon, er fürchte, sein Klostergelübde „in gottloser und verruchter Weise“ abgelegt zu haben.

Im Kloster findet Luther keinen Gewissensfrieden. Er sei, meint Luther, ein Beispiel dafür, „welch ein Leiden das Bewusstsein einer Sünde sein kann“.

Direkt nach seinem Eintritt ins Kloster beschäftigt er sich mit dem Verfassen eines Traktate über das christliche Asylrecht. Dieses Traktat wird 1517 anonym und 1520 dann unter seinem Namen veröffentlicht.

Vor einem seiner Sünden Schuld wegen hat Luther seine Romreise unternommen: der hauptsächliche Grund seiner Reise sei gewesen, dass er eine Lebensbeichte ablegen wollte und fromm werden wollte, wenngleich er auch ein derartiges Geständnis in Erfurt zweimal abgelegt hatte. (WA, TI, 3, 432, 2).

 

Die erste Klosterzeit Luthers

Bis zu seinem öffentlichen Auftreten, d.h. bis zu den berühmten Thesen Anschlag, ist das Leben Martin Luthers schlecht erforscht. Die Lücke in der Lutherforschung hat zur Folge, dass das traditionelle Luther Bild in mancher Hinsicht mit den historischen Gegebenheiten nicht in Einklang steht.

 

Dies führt auch zu Verständnisschwierigkeiten bei der Beschäftigung mit Luthers Theologie, denn diese Theologie zeichnet sich in vielen Bereichen durch eine eigentümliche, auf persönliche Erlebnisse zurückführende Ichbezogenheit aus.

 

Theobald Beer dazu: „Durch alle Werke Luthers hindurch ist die persönliche innere Not zu spüren, in der er mit jenen Stellen der heiligen Schrift ringt, die von dem Richter und Gesetzgeber Christus künden.“

 

Luthers Fragestellung nach dem „Pro me“ – was bedeutet Christus für mich? – sieht Beer als Kernstück der lutherischen Christologie.

 

Luther: „Es geht nicht um das, was Christus in sich hat, dass er Gott und Mensch ist, sondern was er für mich ist.“

 

Auf dem Hintergrund der biografischen Forschungen von Dietrich Emme, in denen er nachweist, dass der Anlass für Luthers Klostereintritt ein von ihm kurze Zeit nach seinem Magisterexamen ausgetragenes Duell mit tödlichem Ausgang für seinen Kontrahenten Hieronimus Buntz war, erscheinen auch die ersten Klosterjahre Luthers in einem neuen Licht.

 

In seiner ersten Zeit im Kloster wurde er nach seinen eigenen Angaben von den Mönchen drangsaliert, wurde gezwungen, niedrigste Arbeiten zu verrichten und gehindert, sich wissenschaftlichen Studien zu widmen. Es kann als gesichert gelten, das er zunächst als Hausknecht verwendet wurde.

 

Sein Arzt Matthäus Ratzeberger legt dar: „Weil er nun am neulichsten unter den Brüdern ins Kloster gekommen war, legte man ihm die allerverächtlichste und schwerste Bürde auf, die er durch tägliche Arbeit im Auskehren und Ausfegen verrichten musste und sonsten des Hausknechtes zu tun und zu verrichten gebühret.“

 

Ähnliches berichtet wird das Mitarbeiter Johann Mathesius. (Emme 1991, 35)

 

Luther selbst berichtet, man habe ihn „gezwungen zu betteln, Käse zu schlagen und die Latrinen zu reinigen. Und die Erfurter Universität setzte sich für ihn ein, nur wenige nahmen indessen auf ihn Rücksicht. Die übrigen riefen laut aus: Nicht viel studieren! Den Sack auf den Rücken und mit dem Sack durch die Stadt.“ (WA, TI, 5, 99, 21)

 

Luther wurde Ende 1505 zum Noviziat zugelassen, und erst nach Beendigung des Novizenjahres, also Ende 1506, wurde er endgültig in den Augustiner-Eremitenorden aufgenommen. In der Zeit vom Klostereintritt bis Ende 1505 war Luther Hausknecht des Klosters. Während dieser Zeit hatte Luther also noch nicht einmal die Stellung eines Postulaten oder Laienbruders.

 

Emme: Luthers Hass auf das Mönchtum, die Aufgabe seines Priesteramtes, sein Ringen um einen gnädigen Gott, seine Lehre vom geknechteten Willen, die Besonderheiten seiner Theologie sind meines Erachtens auch auf dem Hintergrund der Unfreiwilligkeit seines Klostereintritts neu zu werten. (Emme, 1991, 38)